Naturschutzgruppe Witten - Biologische Station e.V.      
Naturschutz im mittleren Ruhrtal

Der Klatschmohn (Papaver rhoeas)
- Blume des Jahres 2017  

von Jochen Roß



Blume des Jahres 2017 ist der Klatschmohn! Die Loki-Schmidt-Stiftung möchte mit dieser Wahl auf den Verlust der schon Jahrtausende alten Lebensgemeinschaft der Ackerwildkräuter hinweisen. Zwar waren von den ursprünglich etwa 350 heimischen Ackerwildkräutern nur 20 "schädlich" in dem Sinne, dass sie die Getreidekörner verunreinigen oder sogar Giftstoffe in Umlauf bringen könnten. Aber die moderne Landwirtschaft bekämpfte gleich alle 350 Arten, und zwar sehr gründlich, u. a. auch zum Nachteil von Schmetterlingen und Bienen. Herausragender Sympathieträger unter den Geächteten ist in der heutigen Bevölkerung sicherlich der knallrot leuchtende Klatschmohn. Wo er sich auf irgendeine Brachfläche retten konnte oder wo auch immer er an städtischen Straßenrändern ausgesät wird, der blühende Klatschmohn ist ein viel beachteter Hingucker. Wer im Wanderurlaub die roten Farbtupfer des Klatschmohns im Getreidefeld erblickt, greift meist instinktiv zum Fotoapparat! Kornblume und Kornrade sind gleichermaßen vertriebene Ackerwildkräuter, aber die Schönheit des Klatschmohns fasziniert auf eine besondere Weise.

Nun ist der Klatschmohn nicht einfach nur schön, er erstaunt uns auch durch bewundernswerte Leistungen. Wer sich die Freude leisten kann, im eigenen Garten den Klatschmohn auszusäen, erlebt ab Mai bis in den Juni das Aufplatzen und Erblühen der Jahresblume: Am Vortag erhebt sich die bislang am behaarten Stängel abgesenkt hängende Knospe steil in die Höhe und öffnet am nächsten Morgen ihre rote Pracht. Hummeln hängen sich voll Wonne in die Mohnpollen, so dass der Stängel erstaunlich elastisch tief zu Boden sinkt. Nach Abflug der Hummel schnellt e r wieder in die Höhe, und der nächste Gast nimmt Platz. Von früh bis etwa 10 Uhr ist die Hauptbesuchszeit der Bestäuber. Das nahrhafte Pollenangebot ist riesig: Die Anzahl der Pollenkörner pro Blüte wird mit rekordverdächtigen 2 Millionen angegeben! Verständlich ist die Hektik der Insektenbesucher, denn die Attraktion einer Mohnblüte hält theoretisch bei Windstille zwar bis zu zwei Tage, in der Praxis aber meist nur ganz wenige Stunden. Dennoch wird diese Zeit für den Betrachter unvergesslich! Voraussetzung für solche Naturerlebnisse im Garten ist allerdings, dass die Mohnkörner auf lockeren und hellen Boden fallen. Sie brauchen viel Licht zum Keimen, dürfen nicht versetzt werden und können nicht gegen eine Beschattung durch andere Wildkräuter ankommen.
 
In den zwei stacheligen grünen Kelchblättern einer reifen, dicken Mohnknospe verbirgt sich jedoch das größte Wunder: Die Knospe enthält die völlig zusammengeknüllten tiefroten Blütenblätter. Jedes dieser eng gefalteten künftigen Blütenblätter ist bereits genau passend in der erforderlichen Größe fertig entwickelt! Nach einem uns rätselhaften Informationsplan haben sich die Pflanzenzellen in verschiedene Richtungen geteilt - und das im zusammengefalteten Zustand! Wissenschaftler vergleichen dieses "Wunder" mit einer Schneiderin, die mit verbundenen Augen aus einem zusammengelegten Stoffballen, ohne ihn auseinanderzufalten, ein Modellkleid schneidert! Am Grunde eines jeden Blütenblattes sieht man in der Regel einen tiefschwarzen Fleck. Die Mohnpflanze erzeugt dieses Schwarz ohne schwarzen Farbstoff! Sie legt zwei komplementär gefärbte Zellschichten (purpur und zyanblau) direkt übereinander. Diese absorbieren die eigentlich reflektierte Lichtstrahlung und wirken dadurch schwarz. Die Flecken helfen den Bestäubern, punktgenau in der Blütenmitte auf der Narbe zu landen. Dort suhlen sie sich sichtbar im neuen Blütenstaub und streifen gleichzeitig ihren mitgebrachten ab. 

Nebenbei gesagt ist der Klatschmohn auch noch eine Heilpflanze! Seine Wirkstoffe sind jedoch andere bzw. bei weitem nicht so intensive wie die des violett blühenden berüchtigten Schlafmohns. An unserer Blume des Jahres 2017 bewundern wir, was sich im dunklen Inneren der heranwachsenden Knospe so perfekt entwickelt. Vor allem aber beeindruckt uns ihre Ausstrahlungskraft: In anderen Ländern, wie z. B. im Iran, gilt sie offiziell als Symbol der Liebe.