Solche Naturschauspiele hin und her schwenkender Starenschwärme kann uns der Vogel des Jahres 2018 leider nur noch in kleiner Besetzung anbieten, denn seine Bestandszahlen sind stark rückläufig. Allein in den 11 Jahren ab 1998 ging die Anzahl seiner Brutpaare in Deutschland um 42% zurück (Nat. Bericht 2013 nach Art. 12 Vogelschutzrichtlinie)! Vor drei Jahren musste er in die deutschlandweite "Rote Liste gefährdeter Arten" aufgenommen werden, eingestuft als "gefährdet". In Witten ist sein Rückgang besonders markant. So findet man in seinen traditionellen gartenreichen Vorstadt-Revieren nach einer aktuellen NaWit-Untersuchung oft gar kein Brutpaar mehr. Lediglich in parkähnlichen Bereichen und im Ruhrtal mit höhlenreichen Bäumen ist der Jahresvogel 2018 noch mehrfach anzutreffen.
Das Zuhause der Stare war die offene Feldlandschaft mit alten Bäumen, wo sie in verlassenen Spechthöhlen oder Hohlstellen brüteten. Auf Weideflächen bewegten sich die Gruppen hastig voran, überholten sich, und sobald jemand aufflog, folgten die anderen als dichter, disziplinierter Verband. Unsere Vorfahren in ihren Siedlungen schätzten die "Starmätze" dann sehr, weil sie ihnen halfen: Im Gemüsegarten pickten sie Schnecken und Insekten weg, das Hausvieh befreiten sie von Zecken, Läusen und anderen Plagegeistern und auch die Anzahl der schädlichen Schnaken in den Wiesen verminderten sie offensichtlich! Gegen die damals gefürchteten Maikäferplagen halfen die Stare ebenfalls. Wenn sie im Überschwang als "Lohn" auch bei der Kirschenernte mithalfen, wurde das meistens geduldet.
Naturnah wie die Menschen früher waren, wussten sie auch, dass Stare ihre Nester stets in Spalten und Höhlen bauten und eine Singwarte ganz nahe am Nest schätzten. Also fertigten sie selbst die typischen "Starenkästen" an mit einer Sitzstange direkt unter dem Einflugloch, und bald hingen in immer mehr Gärten solche Starenwohnungen: Gute Bedingungen für den populären Vogel auch im besiedelten Gebiet! Viele Menschen hielten sich damals sogar Stare in kleinen Käfigen in ihrer Wohnung, um ihnen das "Sprechen" beizubringen oder sich an ihrem besonderen Gesang zu "erfreuen". Erst später im Rahmen der Industrialisierung der modernen Landwirtschaft geriet der Star zum Feindbild. In den 1970er/1980er Jahren z. B. wurde er mit chemischen Massenvernichtungsmitteln wie Nervengift an seinen Schlafplätzen teils millionenfach bekämpft.
Die bereits erwähnte Besonderheit des Starengesangs ist, dass er sehr abwechslungsreich klingt und von vielen Imitationen lebt. So baut der Star in sein langes und rasselnd und glucksend klingendes Lied alle möglichen anderen Singvogelstrophen ein, aber auch Knacken, Schmatzen, Türquietschen, die Töne von Katzen, Fröschen, Trillerpfeifen, Handyklingeln usw.! Im Gegensatz zur am Boden hüpfenden Amsel schreitet der Star. Sein Federkleid schillert metallisch und ist golden bis weißlich gepunktet. Stare sind außerdem Zugvögel, die nachts - natürlich in größeren Schwärmen - mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von mehr als 70 km/h in Richtung Spanien und Nordafrika ziehen. Tiere, die bei uns überwintern, stammen oft aus dem Ostseeumfeld.
Gründe für den enormen Rückgang an Brutpaaren in den vergangenen Jahren sind wohl heutzutage weniger in der direkten Verfolgung zu suchen. Eher sind es, wie auch bei anderen Vögeln, die Landschaftsveränderungen durch die industrielle Landwirtschaft: der Rückgang an Weideland durch Großstallhaltung, Umwandlung in Intensivgrünland und in Maisfelder, der starke Pestizideinsatz und das zurückgehende Angebot an Bruthöhlen. Wahrscheinlich wird uns der Vogel des Jahres 2018 erst mit einer wirklich naturverträglichen Landwirtschaft wieder häufiger begegnen und sogar seine riesigen bewegten Himmelswolken bescheren können. Die Chance auf solch eine Landwirtschaftswende hin zur flächendeckenden Naturverträglichkeit kann jeder von uns durch sein eigenes Konsumverhalten erhöhen.